Frage: Streitlustige Zwillinge

Hallo Frau Jaeger,    ich weiß zur Zeit nicht mehr weiter.  Unsere Zwillinge (m/w 6 1/2 J.) streiten gefühlt den ganzen Tag. In der Regel geht es, wie soll es anders auch sein, um Kleinigkeiten. "Raus aus meinem Zimmer", "Sie hat aber eine Tomate mehr als ich", "Er hat mir ins Ohr geschrien", "Ich bin zuerst dran" und so weiter und so fort. Ich halte mich so gut es geht aus deren Streitigkeiten raus, allerdings kommt (mindestens) einer von beiden jedes Mal mit ihrem "Problem" zu mir. Und entweder wird es mir voller Wut im Schreien vorgetragen was Sache ist, oder laut heulend. Es wird für alles geheult (weinen kann man das leider nicht mehr nennen). Häufig trenne ich die beiden dann für eine Zeit räumlich, aber sobald sie wieder zusammen sind, geht es weiter.  Jetzt hört es sich so an, als ob die beiden sich nicht leiden könnten- dem ist aber gar nicht so. Eigentlich lieben sie sich heiß und innig. Sie gehen gemeinsam in eine Klasse (im Nachhinein muss ich "leider" sagen, aber hinterher ist man ja immer schlauer), sitzen dort nebeneinander und sind in der Schule ein Herz und eine Seele. Wenn sie sich mal für ein paar Stunden nicht sehen, ist die Verabschiedung und Begrüßung so herzlich, als hätten sie sich tagelang nicht gesehen.  Was wir bisher versucht haben, um die Situation zu verbessern: Jeder hat regelmäßig Exklusivzeit abwechselnd mit Mama oder Papa (wöchentlich, spätestens alle 2 Wochen, falls es wirklich mal nicht wöchentlich klappt). Zumindest das Töchterchen hat eine Freundin, die "nur ihr" gehört. Sport machen sie den gleichen (auch zeitgleich und in gleichen Räumlichkeiten), aber in verschiedenen Gruppen.  Sie sind sich sehr ähnlich, haben die gleichen Freunde und die gleichen Interessen, daher ist es sehr schwer, sie in ihrer Freizeit noch weiter zu trennen.  Ich weiß echt nicht mehr weiter. So ist es echt nicht schön im Moment.  Haben Sie vielleicht noch einen Tipp oder eine Idee?  Viele Grüße und schon einmal herzlichen Dank fürs Lesen. Lena

von lena567 am 15.02.2024, 09:36



Antwort auf: Streitlustige Zwillinge

Liebe Lena, zunächste einmal danke ich für dein Vertrauen! Um jetzt einfach mal zu spoilern: Ich glaube - auch wenn du dir große Sorgen machst und zurecht gefrustet bist von der Situation - dir wird nichts anderes übrig bleiben, als die Konflikte auszuhalten und auf das liebevolle Fundament zu vertrauen, das ihr als Familie in den letzten sechs Jahren gegossen und gestärkt habt. Vielleicht hilft es dir, wenn ich dir noch mal ein paar Dinge vor Augen führe, die du als Mama ohnehin schon weißt, die du aber in all dem Trubel und der Sorge um die dauerhafte Beziehung der beiden Raketen vielleicht gerade nicht fühlen kannst. Also: In den meisten Familien erfolgt die Bindung eines Kindes zuerst an die Mutter, dann an den Vater/das zweite Elternteil und an dritter Stelle an die Geschwister. Bei Mehrlingen ist dies fast immer anders. Dort entsteht eine Art Dreieck. Also Zwilling-Zwilling-Mama. Und auch wenn es wenig empirische Daten über Geschwisterbeziehungen insbesondere von Zwillingen (!) gibt, so sind sich die vorhandenen Studien aber einig: Die Beziehung von Geschwistern ist immer von enormer Intimität, von größter Nähe, aber auch von massiven Konflikten geprägt. Die intensive Bindung von Zwillingen (ganz gleich ob genetisch identisch, also eineiig oder wie bei euch genetisch unterschiedlich, da zweieiig), die bereits im Mutterleib durch permanente Interaktion gewachsen ist, bewerten viele Entwicklungspsychologen sogar höher, als die der Zwillinge zu uns Eltern. Das ist einerseits total normal und auch wunderschön, muss sich aber in unterschiedlichen Lebensphasen verändern. Deine zwei Streithähne, die ja außerhalb des geschützten, sicheren Familienraums ein tolles Miteinander pflegen, haben gerade das Bedürfnis, diese enge Beziehung zueinander ein  wenig zu lösen. Dieser Wunsch nach Autonomie und ein bisschen "ich" in all dem "wir" ist für die beiden ebenso überraschend wie überfordernd, vor allem aber ganz normal. Sie kennen sich wie kein anderer Mensch. Sie sind darauf trainiert den anderen auf allen Ebenen der Kommunikation, der Emotion und des Handelns zu lesen, zu spiegeln und zu deuten. Sie wissen welche Knöpfe man wo drücken muss, damit es richtig weh tut. Und sie wollen sich im Grunde nicht weit, aber doch ein paar emotionale Meter voneinander entfernen. Die normale symbiotische Verbindung zu ihrem Nunmer-1-Partner muss im Familiengetriebe ein wenig auseinander gezogen werden und wenn das passiert, dann knirscht es gewaltig. Oder um es kurz zu sagen: Die beiden gehen sich gerade nicht trotz ihrer engen Beziehung sondern gerade wegen dieser gehörig auf die Nerven.  Ich rate dir dringend, die zwei einfach machen zu lassen, solange niemand immer der/die Unterlegene ist, traurig wird oder gar Schaden nimmt. Allein evolutionstechnisch wäre eine ausschließlich auf Konflikt ausgelegte Geschwisterbeziehung lebensgefährlich, weshalb die Phase des Wegstoßens und Abgrenzens sich wahrscheinlich schon sehr bald mit einer versöhnlichen abwechselt. Trau deinen Kindern das zu. Sie schaffen das. Sie brauchen das. Und wir Zwillingseltern können da häufig selbst mit der exklusivsten Exklusivzeit nicht viel machen. Vertrau dir und vor allem deinen Kindern. Sie werden diese wichtige (und ja! furchtbar anstrengende und nervige) Herausforderung meistern. Ganz liebe Grüße. Alexandra von extrakind   

von Alexandra Jaeger & Team am 17.02.2024