Hallo,
ich weiß gar nicht ob ich als Mann hier überhaupt richtig bin, aber ich Versuche es einfach mal.
Meine Frau (37) und ich (38) haben seit Anfang 2023 einen Kinderwunsch, der sich bislang nicht erfüllt hat. Aufgrund unseres Alters haben wir uns relativ schnell an eine Kinderwunschklinik gewendet, bei der wir seit Mai letzten Jahres in Behandlung sind. Leider hat sich herausgestellt, dass mein Spermiogramms sehr eingeschränkt ist, woraufhin man uns in der Klinik eine ICSI empfohlen hat. Aus verschiedenen Gründen ist es seit dem (nur) zweimal zu einer Entnahme einer Eizelle bei meiner Frau gekommen, wovon nur eine retransferiert werden konnte, sich aber dann nicht mehr weiterentwickelt hat. Da meine Frau von der letzten Punktion immer noch Schmerzen hat, haben wir im letzten Monat eine Insemination versucht, aber leider war zu dem Zeitpunkt mein Spermiogramm auf dem Tiefpunkt.
Soviel zu unserer Geschichte. Seit über einem Jahr bestimmt der Kinderwunsch nun unser Leben. Arzttermine und Recherchen bestimmen unseren Alltag. Viel zu schnell sind wir in die Maschinerie der Reproduktionsmedizin gekommen ohne dass man auf unsere Bedürfnisse eingegangen ist. Wir fühlen uns hilflos und allein gelassen und wissen nicht mehr wie wir weiter vorgehen sollen.
Ich tue alles um mein Spermiogramm zu verbessern, damit wir vielleicht durch eine Insemination ans Ziel gelangen können, aber je mehr ich mich anstrenge, desto schlechter werden die Werte. Ich nehme diverse Präparate und Vitamine, ernähre mich gesund, rauche und trinke nicht und bin sehr sportlich, doch scheinbar hilft alles nichts. Dazu kommt, dass ich seit 20 Jahren begeisterter Radsportler bin und meinen geliebten Sport nun auf Anraten des Arztes (Leistungssport und gerade Radsport ist schlecht für Spermien) einstellen musste, was dazu führt, dass es mir noch schlechter geht. Anfang des Jahres war mein Spermiogramm noch ganz OK, aber seit ich all diese Maßnahmen ergriffen habe, ging es immer weiter bergab. Vielleicht ist der Stress Schuld. Alles in allem ist es gerade die schwerste Zeit meines Lebens und es gibt momentan wirklich nichts mehr worauf ich mich wirklich freuen kann. Der Kinderwunsch hat jegliche Freude verdrängt.
Es tut gut, hier die ganze Geschichte einfach mal runterzuschreiben. Es tut mir leid, wenn es etwas durcheinander war. Vielleicht können Sie mir einen Rat geben.
Viele Grüße
von
Cyclist85
am 24.04.2024, 21:12
Antwort auf:
Kinderwunsch bestimmt das Leben
Lieber Cyclist85,
vielen Dank für Deine Nachricht und Dein Vertrauen. Du bist bei mir als Mann auf jeden Fall richtig. Es tut mir leid zu hören, dass Du durch eine so schwierige Zeit gehst. Ich kann Deine Gefühle und Gedanken nachvollziehen und verstehe, dass der Kinderwunsch und die Kinderwunschbehandlung stressig und belastend sein können. Ich versuche auf Deine Themen einzeln einzugehen, um Dir weiterzuhelfen.
Zuerst einmal ist es wichtig anzuerkennen, dass es völlig normal ist, sich in einer solchen Situation überfordert und hilflos zu fühlen. Es ist ein sehr emotionaler und herausfordernder Prozess, und es ist okay, sich gestresst zu fühlen. Laut dem Stand der aktuellen Studien und den Leitlinien für Kinderwunsch ist es so, dass der psychologische Stress keinen direkten Einfluss auf die Fruchtbarkeit hat. Ich hoffe das beruhigt Dich an ein blichen und nimmt Dir den Meta-Stress (Also zu denken Du solltest mal Deinen Stress im Griff haben - das geht leider nicht so einfach). Mit dem Radsport sprichst Du ein wichtiges Thema an. Körperlich bist Du wahrscheinlich wirklich "auf Entzug”, weil Du durch den Ausdauersport immer positiv auf die Ausschüttung von Endorphinen und entzündungshemmenden Substanzen in Deinem Körper eingewirkt. hast. Deswegen meine Frage: machst Du gar keinen Ausdauersport mehr oder gehst Du an Stelle des Radfahrend laufen oder schwimmen? (Auf die Aspekte, wie man den Körper am besten durch Ausdauersport unterstützt, gehe ich jetzt nicht näher ein, da ich davon ausgehe, dass Du als Leistungssportlern genau weißt, wie Training im Grundlagenbereich geht).
Jetzt gehe ich aber auf Stress nochmal anders ein. Um die schwere Zeit zu bestehen wäre es hilfreich zusätzlich zur körperlichen Gesundheit auch Deinen Stress zu berücksichtigen. Um Stress abzubauen gibt es Entspannungstechniken. Für die Kinderwunschzeit empfehlen ich hier vor allem Verfahren, die mit der Vorstellungskraft arbeiten. So eine Entspannungsgruppe biete ich auch an und Du kannst sie kostenlos testen. Allerdings sind Entspannungsverfahren übungsbasierte Verfahren und erst, wenn Du einige Zeit dranbleibst, kannst Du sehen, ob es für Dich funktioniert.
Außerdem ist aus psychologischer Sicht auch Austausch mit anderen Männern, hilfreich. Wenn Du keine Personen in Deinem Umfeld kennst, die sich in ähnlichen Situationen befinden, dann schau mal hier www.meine-mentalstark.app auf den Stundenplan. Jeden Mittwoch bieten meine Kollegen Vinzenz und Yunus die Männergruppe an. Du sagst ja, dass es gerade die schwierigste Zeit in Deinem Leben ist und ich kann mir vorstellen, dass mein Post alleine Dich nicht ausreichend unterstützt. Du reflektierst ja auch selbst, dass die Behandlung auf körperlicher Ebene schnell losging, aber ohne, dass auf emotionaler Bedürfnisse eingegangen wurde.
Ich hoffe mein Post hilft Dir weiter und schreib mir gerne, wenn Du weitere Fragen hast.
Viele Grüße, Sally
von
Dipl.-Psych. Sally Schulze
am 26.04.2024
Antwort auf:
Kinderwunsch bestimmt das Leben
Hallo Sally,
vielen lieben Dank für deine ausführliche Antwort. Es tut tatsächlich auch einfach mal gut zu hören, dass es normal ist in dieser Situation überfordert zu sein. Vielen Dank auch für den Tipp mit den Entspannungstechniken, das werde ich mir mal anschauen.
Um nochmal auf das für mich sehr wichtige Thema Sport einzugehen. Wahrscheinlich können nur wenige Menschen (entweder andere Sportler oder Menschen mit viel Einfühlungsvermögen) nachvollziehen, das es für mich solch ein Problem ist mal kürzer zu treten. Meine Frau kann es zum Glück und nimmt mich da auch ernst. Es ist einfach so, dass ich seit 20 Jahren diesem Sport nachgehe, es ist meine Oase um Kraft zu tanken für die Herausforderungen des Lebens und der Sport hat mir schon oft im Leben geholfen. Es ist nicht nur so, dass ich die Bewegung in der Natur brauche, sondern für mich sind damit auch Lebensziele verbunden, auf die ich hinarbeite und die mir viel bedeuten. In diesem Jahr hatte ich z.B. vor im September bei einem Alpenmarathon zu starten (nach 4 Jahren hatte ich endlich das Glück einen Startplatz zu bekommen), doch dieses Ziel ist nun nach bereits 3 Monaten ohne strukturiertem Training in weite Ferne gerückt. Es ist nicht so, dass ich gar nichts mache, zweimal die Woche gehe ich für eine lockere Stunde aufs Rad und weitere zwei Mal mache ich Kraftsport. Dies tut mir zwar gut, aber es ist natürlich weit von den Umfängen entfernt, die ich normalerweise trainieren würde. Ein alternativer Sport wie Schwimmen oder Laufen ist leider nichts für mich. Was mir Spaß macht, ist Wandern in den Bergen, das werde ich mal wieder machen. Gerade in dieser schweren Zeit würde mir der Sport unglaublich helfen und es fällt mir schwer den Umstand zu akzeptieren. Zumal ich nicht mal weiß, ob sich der Verzicht am Ende lohnen wird. Am Ende werde ich vielleicht trotzdem nicht Vater, habe aber auf so wichtige Lebenszeit verzichtet. Denn so fühlt es sich für mich an, dass ich dieses Jahr aufgebe. Zumal ich meine besten Spermiogramme immer nach einer Zeit mit normal viel Sport hatte, z.B. im Januar nach den Weihnachtsferien mit viel Entspannung und viel Sport. Dagegen "verzichte" ich seit Mitte Januar auf Sport (hatte allerdings im Februar auch eine fiebrige Grippe) und und hatte seitdem nur sehr schlechte Spermiogramme. Ich habe auch Angst, dass sich am Ende herausstellt, dass der fehlende Sport Schuld war am schlechten Spermiogramm. Für die weitere Kiwu-Behandlung brauchen wir aber ein möglichst gutes Spermiogramm. Es ist einfach zum verrückt werden. Außerdem denke ich, sollten wir in diesem Jahr wirklich Erfolg haben und meine Frau würde schwanger werden, dann könnte ich meinen Sport sowie erstmal an den Nagel hängen. Ich denke, da braucht man sich nichts vormachen. Dieses Jahr wäre also das letzte "freie" Jahr.
Am Ende wird mir wahrscheinlich niemand sagen können was das beste ist und hinterher weiß man es sowieso besser. Aber es ist schon schwer zu akzeptieren, dass andere Menschen (teils "unverdient") nach Belieben Kinder bekommen und wir so viel Schwere auf uns nehmen müssen. Das scheint mir so ungerecht zu sein. Manchmal glaube ich, es wäre besser den Kinderwunsch aufzugeben. Damit würde ich wahrscheinlich besser zurecht kommen, als mit der momentanen Situation. Andererseits wünsche ich uns aber auch so sehr ein Kind und ohne Hoffnung werden die anstehenden Behandlung auch nur schwer zu durchstehen sein.
Viele Grüße und einen schönen Tag,
Thorben
von
Cyclist85
am 28.04.2024, 08:07