love-compassion
Sehr geehrter Herr Dr. Nohr, Mein Sohn (19 Monate) vermeidet Blickkontakt aus naher Distanz. Dies war eigentlich schon immer so. Ganz am Anfang studierte er schon unsere Gesichter. Als er uns kannte, wurde eher das Anschauen anderer Personen bevorzugt. In der Säuglingszeit schaute er mich beim Stillen aber fast nie an, auch als ich ihn später fütterte, schaute er an mir vorbei. Erst als er mobiler wurde, wurde der Blickkontakt durch die zunehmende räumliche Distanz mehr und intensiver. Heute ist es immer noch so, dass er mich aus der Distanz ohne Probleme anschaut und den Blickkontakt hält. Bin ich näher dran (Hoppe, Hoppe Reiter oder ich rede mit ihm während er auf meinem Arm ist oder ich kniee mich zu ihm runter, hört er zwar konzentriert zu, aber sucht meinen Blick nicht auch wenn ein Blickkontakt aus 1/2 Meter Entfernung schon eher mal als früher zustandekommt. Ein weiteres Beispiel: Die Tochter meiner Freundin (18 Monate) gibt mir etwas und schaut mich dabei an, ich lächele sie dankend an, sie lächelt zurück. Mein Sohn wiederrum bringt meiner Freundin einen Gegenstand, aber schaut sie dabei NICHT an. Oder ich spiele mit ihm in seiner Spielküche. Er gibt mir Dinge in die Hand und zeigt mir was ich damit tun soll, aber wir können so gut und gerne 10 Minuten "miteinander" spielen, ohne dass er mich anschaut (er ist im Spiel aber auch sehr konzentriert). Also dieses Miteinander fehlt einfach. Manchmal fühle ich mich dann nur wie das Mittel zum Zweck. Mein Sohn holt sich selten ein Feedback ab. Er hilft mir zum Beispiel von sich aus beim Wäsche aufhängen. Ich lache ihn freudig an und bedanke mich. Ihm scheint das jedoch gar nicht wichtig zu sein, er schaut gar nicht zu mir hoch oder lächelt stolz. Das war schon so als er krabbeln lernte. Kein stolzes Lächeln, Vielmehr scheint es für ihn selbstverständlich oder er ist sich selbst genug. Erst seit ca. 2 Monaten holt er sich bei "Erfolgen" eher mal ein Feedback ab. Dieses Blickvermeidungsverhalten aus der Nähe zeigt er übrigens auch bei meinem Mann und allen anderen Personen. Er ist eher ein ernsterer Charakter, beim Toben oder Quatsch machen lacht er jedoch ausgelassen. Auch ist er schon immer sehr aktiv, forsch und neugierig. Er mochte es als Säugling schon nie einfach auf mir zu liegen oder an mich gelehnt zu sitzen und zu beobachten. Wir mussten immer mit ihm umherlaufen. Er mag Nähe, ist gern auf dem Arm und ließ sich nicht allzu gern ablegen. Er ging oft problemlos zu anderen auf den Arm. Wenn der Opa in der Nähe war (ab dem 10. Monat) war ich in der Zeit abgeschrieben (sehen sich 1 x wöchentlich). Es gab eine kurze Fremdelphase um den 9. Monat herum. Um den 14 - 16. Lebensmonat sehr anhänglich an mich, ansonsten war er jedoch nie nur ein Mama-Kind. Beim Trösten und Einschlafen (Stillen) war jedoch ich angesagt aber Papa wurde auch morgens immer traurig vermisst, wenn er nicht mehr im Bett war (seit dem mein Sohn das zumindest äußern kann). Mir fehlt durch den nahen Blickkontakt jedoch das echte Verbundenheitsgefühl und diese Innigkeit, weshalb ich manchmal denke, dass ich etwas falsch gemacht habe. Diese Sorgen diesbezüglich habe ich nun bestimmt schon ein Jahr schon, auch war ich oft innerlich traurig über die fehlende Innigkeit. Ich habe mich ihm gegenüber dennoch immer zugewandt verhalten und ihn meine Sorgen nicht spüren lassen. Ich stille ihn nach wie vor und er will auch noch viel gestillt werden. Er schläft schon immer im Familienbett und ich habe stets versucht seine Bedürfnisse so gut es geht zu erfüllen. Er wird noch nicht fremdbetreut. Ich war bis jetzt vielleicht 10 x für max. 2 Stunden nicht da, da hat mein Mann immer auf ihn aufgepasst. Da ich ihn bisher noch nie bei anderen Personen als meinem Mann gelassen habe, war er bei den seltenen Trennungen, die es gab manchmal kurz traurig (weinte kurz oder rief traurig "Mama, Mama"). In der Krabbelgruppe folgte er mir jedoch oft, wenn ich nur aufstand um mir was vom Tisch zum Trinken zu holen. Er wollte eindeutig nicht, dass ich weggehe. Beim Wiedersehen (wenn er bei meinem Mann blieb) lächelte er mich jedoch manchmal gar nicht an und wollte auch nicht immer gleich zu mir auf den Arm. Er nahm einfach zur Kenntnis, dass ich wieder da bin und alles war gut. Vielleicht waren die Trennungszeiten für ein echtes Vermissen zu kurz? Seit er laufen kann (12 Monate) zeigt er mir dann meist das womit er gerade gespielt hat und dann ist auch gut. So ist es übrigens auch, wenn mein Mann von der Arbeit kommt. Zwischen dem 11. und 14. Lebensmonat wollte er bei seiner Wiederkehr kurz auf den Arm, aber lachte nun nicht so freudig, wie man es immer überall liest und hört. Oft brachte er aber auch dem Papa dann kurz das womit er gespielt hat um ihm wohl davon zu "erzählen". Tagsüber sagt er oft "Papa" und in den seltenen Fällen wo ich nicht da bin/war auch öfter "Mama". Worauf ich hinaus will: Gibt es einfach Kinder, denen ein naher Blickkontakt einfach zu eng ist, ohne, dass die Bindung beschädigt ist? Er kann übrigens gut sehen. Es besteht zwar ein Verdacht auf eine Abducensparese, aber das räumliche Sehen ist intakt und die Sehfähigkeit wurde grob geprüft und zuhause zeigt er mir jeden Fussel, den ich wegsaugen soll. Ich zweifele oft, ob ich ihm vielleicht zu viele Kontaktangebote gemacht habe. Ich habe schon in der Säuglingszeit viel mit ihm geredet (natürlich nicht immer face-to -face) und ich habe ihn vielleicht zu wenig einfach nur beobachten lassen. Schaute er in meine Richtung, bin ich gleich auf ihn eingegangen. Ich habe ihn auch bei jedem Quengeln gleich hochgenommen oder zumindest verbal auf ihn reagiert, alles in der Absicht, dass er sich sicher und geborgen fühlen soll. Da er sich bei Autofahrten unwohl fühlte und er oft so einen abwesenden Blick hatte, habe ich viel mit ihm gesprochen und da auch versucht in seinem Blickfeld zu sein (beugte mich über ihn), was er einmal mit Schreien quittiert hat und ich da erst merkte, dass ich seine Grenze überschritten habe. Deshalb die Sorge, dass ich das vielleicht zu oft getan habe. Er hat immer viel Aufmerksamkeit von mir bekommen. Vielleicht hätte er mehr Ruhe gebraucht? Klar habe ich den Blickkontakt nie erzwungen und bei deutlichen Abwendungszeichen habe ich ihn natürlich in Ruhe gelassen. Aber oft hatte ich das Gefühl ich müsste noch mehr in die Beziehung stecken, da ich das Gefühl hatte dass doch irgendwas fehlt, wenn er den Blickkontakt nicht sucht und habe vielleicht manchmal zu viel Aufmerksamkeit gegeben. Aber hätte er dann nicht immer laut protestiert? Und würde sich dann bei anderen Personen nicht ein anderes Kontaktverhalten zeigen (Papa, Großeltern, er liebt seinen Opa heiß und innig, doch auch da gibt es kaum Blickkontakt aus der Nähe). Ich denke übrigens nicht an Autismus, da er mich oft so schelmisch angrinst, wenn er etwas tut, worauf ich spaßig so reagiere, als fände ich es ja sooo schlimm. Das ist so eine Art Spiel, bei dem wir beide viel lachen... Ich glaube, das wäre bei Autismus anders. Und generell sucht er schon die Interaktion, will auf dem Arm tanzen usw... Auch macht er keinen allzu ängstlichen Eindruck in neuen Situationen (eher altersgerechte anfängliche Zurückhaltung und Schutz suchen bei mir oder seinem Papa, nach ein paar Minuten jedoch deutlich lockerer). .Allerdings weinte er auch nie mit anderen Babys mit, was doch die meisten Babys tun, oder? Mein Mann und auch die Großeltern sehen das mit dem Blickkontakt übrigens gar nicht eng ("so ist er eben".) Bis auf den Blickkontakt empfinde ich unsere Beziehung als völlig normal und habe auch das Gefühl, dass er sich bei mir geborgen und sicher fühlt (auch wenn mich hier die fehlende freudige Umarmung irritiert, aber wie gesagt reagiert er da bei meinem Mann ähnlich). Was meinen Sie: Kann ich einfach entspannt bleiben, was unsere Beziehung betrifft trotz des fehlenden BK aus der Nähe und das Ausbleiben freudiger Umarmungen beim Wiedersehen oder habe ich möglicherweise wirklich was falsch gemacht? Vielleicht erwarte ich auch einfach zu viel, da es mir so verdammt wichtig ist eine gute Mutter zu sein. Vielen Dank für Ihre Antwort. Es ist leider sehr ausführlich, aber so können Sie sich ein umfassendes Bild machen.
Dr. med. Ludger Nohr
Vielen Dank für die ausführliche und genaue Beschreibung. Ich möchte die Situation nutzen, etwas über affect attunement ( D.Stern) zu schreiben. Stern verstand darunter die feine Abstimmung zwischen insbes. Mutter und Kind, die vor allem darin besteht, dass die Mutter das Gefühl, die Handlung, usw. des Kindes verstärkt/begleitet/unterstützt und so eine innige Intersubjektivität herstellt. Wichtig ist, dass der Impuls vom Kind kommt. Sie beschreiben was sie erwarten, wünschen, hoffen, was ihr Kind in der und der Situation zeigen sollte. Diese Erwartung verändert die Situation, nimmt dem Kind die Freiheit, seins zu tun. Es kann sein, dass ihr Kind mit dem Vermeiden des nahen Blickkontakts sich dieser Erwartung entzieht. Nur so kann es sein Eigenes entwickeln, wenn es nicht so oder so sein soll. Das läuft alles selbstverständlich unbewusst ab. Geben sie ihrem Kind Raum, nehmen sie ihn wahr wie er gerade ist und versuchen sich einzuschwingen auf ihn. Wenn er sein darf und nicht soll, wird ihr Kontakt wieder spontaner werden können. Es ist schon OK eine gute Mutter sein zu wollen, aber das ist kein Konzept, sondern eine Haltung die wahrnimmt und annimmt. Da steht man sich mit den eigenen Ansprüchen manchmal im Weg. Aber es hört sich so an, als ob sie das ändern könnten. Alles Gute dabei. Ludger Nohr
Annabell23
Hallo, Es ist echt unfassbar aber das könnte ich 1:1 geschrieben haben. Daher wollte ich nachfragen wie es dir nun ergeht und ob sich das verändert hat. Ganz liebe Grüße
Lejlaaa
Hallo, ich sehe, dass dein Artikel schon ein Jahr alt ist. Ich hätte gerne gewusst, was sich bei ihm rausgestellt hat. Bei meinem Sohn ist es nämlich genauso und ich habe große Angst vor einer Diagnose.
Annabell23
Hallo, Vielleicht hast du Lust dich auszutauschen mit mir ? Geteiltes Leid ist halbes Leid:) Liebe Grüße
Regga
Hi.....ihr habe ein ähnliche Problem und würde gerne sich austauschen. regina.rerih@mail.ru Schreibt mich gerne an. Lg Regina
Bohnen
Hallo zusammen, ich möchte gerne antworten, da es mir vor 4 Jahren ganz ähnlich ging und mir eine Antwort dazu, wie es weiterging vermutlich sehr geholfen hätte. Ich war fest davon überzeugt, meine Tochter sei autistisch und ich habe leider gegoogelt wie verrückt - sicher einer der größten Fehler. Laut meinen Wahrnehmungen nahm meine Tochter - wenn überhaupt - nur aus Distanz Blickkontakt auf. Auch nur kurz. Niemals aus der Nähe. Reaktion auf Ansprache: so gut wie nie. Reaktion auf laute Geräusche: selten. Auf dem Spielplatz wirkte sie absolut abwesend -auch wenn kein anderes Kind dort war. Das waren nur einige der vermeintlichen Auffälligkeiten. Und nun: Unsere Tochter ist kerngesund. Es geht ihr blendet. Sie hält lange und intensiven Blickkontakt, reagiert auf Ihren Namen, freut sich riesig, wenn sie von mir, ihrem Papa oder der Tante aus der Kita geholt wird. Sie plappert wie ein Wasserfall. Meine Erklärung: ich habe mich reingesteigert ja, aber die Süße ist auch einfach sehr offen mit ihren Sinnen. Nimmt so viel auf, hatte oft keine Chance sich auf die vermeintlich wichtige "Information" (z.B. meine Ansprache) zu konzentrieren. Sie hat einen auffällig großen Wortschatz. Auch wenn es schwerfällt: nehmt euer Kind an. Es wächst. Es ist wunderbar. Da ist so viel Liebe zwischen euch. Bohnen
Beany1692
Hallo, Kann hier noch jemand berichten, wie es weiterging? wir beobachten grade leider ein ähnliches Verhalten bei unserem Sohn und sind sehr verunsichert...
Mabea
Hallo Zusammen, darf ich fragen wie bei euch sich das Ganze entwicklekt hat? Wir haben mit unsere Tochter 17 Mon ähnliche Situation. Dazu kommt, dass sie noch nicht spricht, keine Gestik und Mimik hat Danke
Beany1692
An dieser Stelle nochmal die Frage, ob die ebenfalls betroffenen berichten könnten wie es weitergegangen ist
Lena888
Mein Sohn verhält sich ähnlich wie haben sich eure Kinder entwickelt? Lg
Beany1692
Es ist so schade, dass man leider nicht erfährt wie es bei den meisten weiterging. mein Sohn ist inzwischen 25 Monate. Er meidet den Blickkontakt aus der Nähe weiterhin. Es ist für mich sehr schade, ich vermisse es total und hab auch damit zu kämpfen. Ich denke, das werden nur Mütter verstehen, deren Kinder ebenfalls den intensiven Blickkontakt vermeiden.
Ninni123
Hallo, ich habe eine kurze Frage, der Beitrag ist jetzt nun schon eine ganze Weile her. So wie du deine Tochter beschrieben hast trifft alles 1zu1 auf meine Tochter zu und ich finde es super das du wenigstens teilst wie es dann weiter ging, das macht mir Hoffnung daß sich das bei meiner Tochter noch gibt. Hat denn deine Tochter mit 18/19 Monaten schon gesprochen? Meine leider nicht.
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