Frage im Expertenforum Schwangerschaftsberatung an Dr. med. Vincenzo Bluni:

Einnahme von Folio forte ein "Muss" schon vor der Empfängnis?

Dr. med. Vincenzo Bluni

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Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe

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Frage: Einnahme von Folio forte ein "Muss" schon vor der Empfängnis?

Mitglied inaktiv

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Sehr geehrter Herr Bluni, ich wüsste gerne ob die Einnahme von Folsäure Tabletten wirklich schon während der Kinderwunschplanung nötig ist. Angeblich ist es ja schon zu spät wenn man erst dann Folsäure nimmt, wenn man die Schwangerschaft festgestellt hat (so sagen es jedenfalls die Hersteller der Präparate; z.B. Folio forte). Ich möchte eigentlich ungern für die nächsten Monate/Jahre (man weiß ja nie wie lange es dauert bis es klappt) Tabletten einnehmen. Was ist ihre Meinung? Ist das leichtsinnig oder in Ordnung? Bei meinem ersten Kind hatte ich auch erst nach Feststellen der ss Folsäure genommen, weil es ungeplant und sozusagen eine "Überraschung "war. Vielen Dank für Ihre Antwort. annamausi


Dr. med. Vincenzo Bluni

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Liebe Anna, die Folsäure gehört zur Gruppe der B-Vitamine. Hier spielt sie eine Schlüsselrolle bei lebenswichtigen Vorgängen in unserem Körper: Von Bedeutung ist sie für alle Wachstums- und Entwicklungsprozesse. Mit Hilfe der Folsäure werden Bestandteile der Nucleinsäuren (biologische Informationsspeicher der Zellen) hergestellt. Hinsichtlich der Prävention von Erkrankungen zeigten groß angelegte Studien vor ungefähr 10 Jahren, dass dieses Vitamin vor schwerwiegenden, fetalen Fehlbildungen, den so genannten Neuralohrdefekten schützen kann. Diese Studien haben ergeben, dass bei Frauen, die perikonzeptionell (4 Wochen vor bis 8 Wochen nach der Befruchtung der Eizelle) Folsäure einnehmen, die Wahrscheinlichkeit, ein Kind mit Neuralrohrdefekt zu gebären, deutlich geringer (um bis zu 70%) ist. Eine Minderung des Fehlbildungsrisikos ist aber auch nachgewiesen für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten und Herzfehler (Ventrikelseptumdefekt). * Ein Neuralrohrdefekt liegt vor, wenn der knöcherne Schädel oder die Wirbelsäule nicht vollständig geschlossen sind. Diese Verschlussstörungen entstehen sehr früh in der embryonalen Entwicklung (etwa in den ersten 6 Wochen). Die Ursachen für diese Fehlentwicklung sind bislang nicht bekannt. Das Alter der Eltern hat keinen Einfluss auf das Zustandekommen von Neuralohrdefekten. In Mitteleuropa treten Neuralrohrdefekte mit einer Häufigkeit von etwa 1-2 pro Tausend Geburten auf. Sie werden "Spina bifida" (gespaltene Wirbelsäule) oder "offener Rücken" genannt und können sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Ein Teil der betroffenen Kinder ist von Geburt an querschnittsgelähmt. Auch Organe wie Blase und Darm können von dieser Lähmung betroffen sein. Die Behinderung "Spina bifida" ist im Sinne einer Krankheit nicht heilbar. Aus diesem Grund wird für alle Frauen ohne Risiko (Patientin mit Epilepsiemedikamenten oder Kindern mit einer Neuralrohrfehlbildung, wie einem offenen Rücken) idealerweise eine Folsäuresubstitution von 0,4 mg/Tag schon etwa 2-3 Monate vor Beginn der Schwangerschaft und in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft empfohlen. Für Frauen mit einem entsprechenden Risiko werden täglich 4 mg Folsäure empfohlen*. Da eine Schwangerschaft aber nicht immer datumsgenau geplant wird, ist die Empfehlung, mit der Folsäuresubstitution spätestens dann zu beginnen, wenn verhütende Maßnahmen abgesetzt werden. VB *Quellen: 1. Wilson RD, Johnson JA, Wyatt P, Allen V, Gagnon A, Langlois S, Blight C., Audibert F, Desilets V, Brock JA, Koren C, Gloh YI, Nguyen P, Kapur B (2007): Pre-conceptional vitamin/ folic acid supplementation 2007: the use of folic acid in combination with a multivitamin supplement for the prevention of neural tube defects and other congenital anomalies. J Obstet Gynaecol Can 29 (12), 1003-1026. 2. http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=42187 3. DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung), Österreichische Gesellschaft für Ernährung, Schweizerische Gesellschaft für Ernährung, Schweizerische, Gesellschaft für Ernährungsforschung, Schweizerische Vereinigung für Ernährung (eds.): Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. Frankfurt/Main: Umschau Braus Verlag 2000. 4. Koletzko B, von Kries R: Prevention of neural tube defects by folic acid administration in early pregnancy. Joint recommendations of the German Society of Nutrition, Gynecology and Obstetrics, Human Genetics, Pediatrics, Society of Neuropediatrics. Gynäkol Geburtshilfliche Rundschau 1995; 35: 2–5. 5. http://www.frauenarzt.de/1/2007PDF/07-08/2007-08-wenderlein.pdf VB


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Sehr geehrter Herr Bluni, vielen herzlichen Dank für Ihre ausführliche Antwort. Ich werde gleich nachher in die Apotheke gehen und mir das Folio forte holen! Liebe Grüße annamausi


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