Frage im Expertenforum Schreibabys an Dr. rer. nat. Meike Bentz:

Schreibaby extrem, total verzweifelt

Dr. rer. nat. Meike Bentz

Dr. rer. nat. Meike Bentz
Diplom-Psychologin
Frage: Schreibaby extrem, total verzweifelt

Julnny

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Guten morgen Frau Dr Bentz, Bisher war ich immer stille mitleserin jetzt traue ich mich endlich selber auszupacken... Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll daher ganz zum Anfang. Ich hatte im mai letztes jahr in der 9. Ssw leider einen abgang Herzchen schlug nicht mehr...Das war wirklich schrecklich für mich...dann im September bin ich endlich wieder schwanger geworden und nach dauerder angst in der schwangerschaft es könnte wieder das herzchen einfach aufhören zu schlagen kam unser kleiner bub am 31.05. Auf die welt. Fruchtblase eine woche vor Termine geplatzt 12 h auf wehen gewartet bis dann eingeleitet worden ist mit Tabletten und tropf inkl Antibiotika 7 std später war er da. Hatte teilweise panische angst weil ich lang allein gelassen worden bin und schon das Gefühl hatte das baby kommt gleich...wir hatten uns überraschen lassen und wollten das Geschlecht vorher nicht wissen Ich weiß nicht ob es wichtig oder von Bedeutung ist deshalb hole ich soweit aus. War dann 3 tage im Krankenhaus und hier ging es schon los würde ich sagen er hat getrunken(ich stille voll nach bedarf) geschlafen und geschrien ich war hier schon voll verzweifelt weil ich ihn nicht beruhigen konnte! Die ersten 9 wochen hat er nur geschrieen...ich wurde nur belächelt der kinderarzt ging gar nicht drauf ein und meine hebamme meinte ich soll ihn schreien lassen.. Ich hatte bzw hab heute noch große Schwierigkeiten seine Bedürfnisse zu deuten da er nur schreien konnte in jeder Situation. Weinen gab es nicht es wurde sofort losgeschrien und wenn ich ihn dann mal kurz weggelegt habe um mir was abzuziehen (selbst aufm klo hab ich ihn gehalten) hat er das kreischen angefangen und kurzzeitig keine luft mehr geholt einfach nur schrecklich für mich mitsnzusehen wie der kleine leidet und das ich ihm nicht helfen kann weil selbst auf meinem arm hat er immer geschrien und war wirklich nie ansprechbar für mich...darunter litt ich sehr! Seit der 2. Woche benutzen wir die sab tropfen wegen bauchweh...irgendwann haben wir die tropfen auch zusätzlich zur Beruhigung eingesetzt weil wir gemerkt haben er fährt damit wenn auch nur kurz runter somit haben wir einen hohen sab tropfen verbrauch was ich überhaupt nicht gut finde mir aber nicht anders zu helfen weiß. Zwischen der 8. Und 9. Woche ist es besser er ist wacher und hat plötzlich beim aufwachen nicht geschrien sondern lag ruhig neben mir und mittlerweile lacht er immer ganz viel jedoch leider nicht lange maximaleine stunde und dann fängt er des rudern und strampeln an atmet hektisch und schlägt mit den fäustchen in bauch dann ist es bereits zu spät..er schreit und so bald ich ihn nur kurz weglege kreischt er holt keine luft ich geb ihn diddi mit sab tropfen das wirkt kurz ihm fallen die augen langsam zu da fängt er wieder an sich durch zu strecken und schreit ganz arg das geht oft ne Stunde so bis er auf meinem arm einschläft, im tuch oder eingepuckt im bett. Weglegen geht gar nicht da ist er sofort wieder hellwach...schlafen tut er meistens nur ne halbe Stunde und dann geht das ganze von vorne los :-( Nachts hatten wir noch nie wirkliche Probleme meistens schläft er beim stillen ein und schläft zwischen 3 un 6 Stunden bis zur nächsten still mahlzeit sehr unterschiedlich. Seit 2 Wochen jedoch spinnt er an der brust rum lässt die brustwarze schnalzend los und schaut in die andere Richtung da steigert er sich richtige rein bis er ebenfalls wieder schreit und ich meine wirklich schreien nicht weinen... Oft weine ich mit weil ich nicht mehr weiter weiß.... ich bekomm ihn dann teilweise nicht mal mehr mit den sab tropfen beruhigt..ich glaube er hat von anfang an eine regulationsstörung und weiß nicht wie ich ihn helfen kann. Er schläft nachts übrigens nur eingepuckt weil er sonst alle std aufwacht da er seine hände im gesicht hat und wild rudert. Beim osteopathen waren wir bereits... Ich weiß nicht wohin ich mich wenden soll bei uns am Dorf und Umgebung ist das schwierig. Es nimmt mich keiner ernst so quasi ich bin überfordert usw...ich hoffe so sie können mir bzw dem kleinen etwas helfen oder einen tipp geben auch wenn eine Ferndiagnose natürlich nicht einfach ist. Ich bin viel mit ihm Zuhause damit er es ruhig hat mache nur die nötigsten Erledigungen und im Haushalt komme ich nicht wirklich zu was. Wenn wir unterwegs sind schläft er mal im maxi cosi WENN er sich beruhigt hat sobald wir jedoch wo sind bei oma etc kommt er noch schlechter zur ruhe wie daheim und das geschrei ist vorprogrammiert. Ich selber bin sehr erschöpft jedoch stehe ich jedes mal meinem kleinen bei und würde ihn nie alleine liegen lassen auch wenn bei mir die tränen mitkullern... Es ist seit fast 12 wochen dasselbe schema beim tagsüber zur ruhe kommen daher bezweifle ich ein eingefahrenes muster... Schön das es jemanden wie Sie gibt an den man sich wenden kann!! Danke!


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Liebe Julnny! Vielen Dank für Ihren bewegenden Bericht! Leider finden Sie in diesem Forum viele Schicksalsgenossen, die Ähnliches erleben / erlebt haben. Das mindert nicht Ihr Leid, doch spendet vielleicht etwas Trost. Ich kenne viele Eltern von Schreibabys die das Gefühl haben, sie wären die einzigen auf der Welt und rundherum wäre nun zufriedene, gut ausgeruhte, entspannte Babys. Das kann einem schnell das Gefühl geben, dass man als Eltern einfach versagt und alles falsch macht. Tatsächlich trifft man ja auch auf diese kritische Haltung – einerseits durch Unwissenheit, andererseits durch Hilflosigkeit. Es ist immer leichter einen Schuldigen (= Eltern) auszumachen, als einzugestehen, dass man selber nicht weiter weiß oder vom Schreien überfordert ist. Manchmal gilt dies selbst für Leute vom Fach, wie Ärzte, Hebammen, Erzieher etc. Über das Phänomen exzessives Schreien existieren immer noch allerhand Mythen und viel Halbwissen, was sehr viel Möglichkeiten gibt, dort eigene Meinungen, Ansichten, Ideale und Dogmen als scheinbares Wissen zu verkaufen. Eltern haben mir schon die absurdesten Gründe berichtet, die Ihnen Außenstehende als Grund für das Schreien genannt haben. Darunter Dinge wie „Das Baby schreit, weil es nicht gestillt wird oder weil es gestillt wird“, „Das Baby merkt, dass Sie bald wieder arbeiten gehen wollen“, „Das Baby wurde zum Vollmond geboren“, „das Baby hat schon im Bauch gespürt, dass Sie es ablehnen“, „Das Baby will nur prüfen, wie weit es gehen kann“ … Alles vollkommender Blödsinn. In einer normalen, gestärkten Situation würde das wohl auch jede Mutter / jeder Vater erkennen. In einer schwierigen, extrem belastenden Situation wie sie mit einem exzessiv schreienden Säugling vorherrscht, sind Eltern jedoch empfänglich für solche Botschaften, nehmen sich jeden Mist an und werden immer unsicherer. Daher mein erster und möglicherweise wichtigster Rat: Distanzieren Sie sich Leuten, die Ihnen Schuldgefühle einreden, Sie nicht ernst nehmen oder suggerieren, dass Sie alles falsch machen. Studien zeigen sehr deutlich, dass es für Eltern von Schreibaby keinen Grund gibt, sich Vorwürfe zu machen. Sie sind ebenso kompetent und feinfühlig wie andere, und es muss schon eine Menge zusammenkommen, damit aus einem Kind ein Schreibaby wird. Viele dieser Dinge wie etwa neurobiologische, reifebedingte Probleme bei der Reizverarbeitung, eine unruhiges „schwieriges“ Temperament bzw. Hypersensibilität, Probleme während der Schwangerschaft etc. können wir Eltern nicht oder nur bedingt beeinflussen. Nicht immer sind Situationen, Bedingungen und Umstände ideal, auch wenn wir alles dafür tun. Sicher können die Ängste in Ihrer Schwangerschaft dazu beigetragen haben, dass Ihr Kind nun viel schreit. Man weiß aus Untersuchungen, dass dies ein wichtiger Risikofaktor ist. Doch aal davon abgesehen, dass selbst Experten Ihnen nicht sagen können, ob dies auf Ihren Sohn zutrifft, da ein statistischer Zusammenhang sich nicht auf Einzelfälle übertragen lässt - ist das Ihre Schuld? Haben Sie die Ängste und die vorangegangen Fehlgeburt so ausgesucht? Sicher nicht. Das Denken in der Kategorie Schuld für zu nichts außer dass Sie verlernen, sich und ihrem ureigenen intuitiven Kompetenzen zu vertrauen, und in Folge dessen tatsächlich immer unsicherer und panischer werden – eine sich selbst erfüllende Prophezeiung! Ihr Kind schreit! Das ist keine Bagatelle, sondern ein ernsthaftes Problem. Wer dies nicht ernst nimmt, verschwendet Ihre Zeit! Wer Dinge als einzig richtige Lösungsweg, Methode oder Mittelchen anpreist, hat keine Ahnung und verschwendet ebenfalls Ihre Zeit. Wer seine eigenen Dogmen im Kopf als Wahrheiten und nicht als persönliche Ansichten verkauft, wer eigene Ideale auf andere projiziert, predigt und missioniert anstatt zu helfen und verschwendet ebenfalls Ihre Zeit. Im Zweifel kann das bedeuten, auch mal den Kinderarzt zu wechseln bzw. für Fragen, die Sie zu diesem Thema haben, spezielle Einrichtungen aufzusuchen. Das bedeutet dann möglichweise auch mal eine längere Anfahrt, doch dies dürfte in vielen Fällen das kleinere Übel sein. Eine Behandlung ist viel weniger umfassend, wenn sie rechtzeitig beginnt. Meist reichen schon 2-3 Termine um eine deutliche Besserung zu erzielen. Danach kann man die Zeitabstände verlängern (alle vier Wochen) oder auch zwischendurch mal einen Telefontermin machen. Die Babys müssen dabei auch gar nicht immer mit, so dass man Ihnen die Fahrt auch oft ersparen kann. Ich würde Ihnen das wirklich gern nahelegen, auch wenn mir bewusst ist, dass Sie auf dem Land natürlich begrenzte Möglichkeiten haben und wesentlich mehr Zeit und Energie aufbringen müssten. Doch wenn Ihr Baby eine OP benötigen würde, müssten Sie das ja auch in Kauf nehmen. Sollte eine Regulationsstörung vorliegen brauchen Ihr Kind und Sie ebenfalls Hilfe. Damit will ich Ihnen keine Angst machen, doch ausdrücken, dass Schwierigkeiten wie diese den geleichen Stellenwert verdienen, denn sie sind ja nicht weniger schlimm, weil kein Blut fließt und man organisch nichts finden kann. Gleichsam sicher eine frühe Behandlung eben auch schnelleren Erfolg und ist die beste Prävention späterer Verhaltensstörungen. Länger abwarten würde ich nicht, und mir zumindest einmal eine Einschätzung vom Profi einholen, denn die kann ich hier tatsächlich nicht ersetzen. Zwar verringert sich die Schreidauer bei meisten Kindern nach dem vierten Monat deutlich, doch bei Kindern die von Anfang an sehr viel schreien, sind die Probleme oft etwas hartnäckiger. Ein Grund zum Verzweifeln gibt es jedoch nicht. Ihr Kleiner hat gar keine schlechte Ausgangsposition, wenn er nachts schon schafft, so lange am Stück zu schlafen, ja z.T. auch durchzuschlafen. Mit bis zu sechs Stunden ist er sogar überdurchschnittlich weit und zeigt damit, dass – vereinfacht ausgedrückt - sein Hirn, was die biologische Grundlage fürs Schlafenkönnen liefert, es eigentlich kann (Stichwort Schlafhomöostase). Auch scheint er eine ausreichende Nahrungsmenge am Stück trinken zu können, so dass er schon eine gute Hunger-Sättigungsregulation zu haben scheint. Alles prima und keineswegs selbstverständlich! Sie können also gar nicht so viel falsch gemacht haben, wie Ihnen einige Mitmenschen offenbar suggerieren wollen. D.h. (ganz wichtig!!) auch wenn die Symptome sehr ausgeprägt und kräftezehrend sind, heißt dies nicht, dass Sie ein besonders schwerer Fall sind! Ich bin sogar sehr optimistisch, dass ein, zwei Schubser in die richtige Richtung sehr viel helfen können. Als Basis können Sie sich an den goldenen Regeln für Schreibabys orientieren: - Weniger ist Mehr! Gerade unruhige, leicht ablenkbare Kinder brauchen nicht das x-te blinkende Spielzeug, oder die zwanzigste Beruhigungsmethode. Schreien nicht dazu verführen, alles Mögliche zu tun, sondern bleiben Sie bei einer Sache. Ein Kind, was müde und überreizt ist, braucht seine Zeit, um „runterzukochen“. Diese sollte man ihm gönnen. - Beruhigen kommt von Ruhe! Das Weinen wird sich nicht immer stoppen lassen. Durch Ihre Ruhe können Sie Ihrem Baby jedoch helfen, seine Unruhe auszuhalten und zu lernen, sich zu entspannen. Es ist daher kein Luxus, sondern ein wichtiger Baustein, dass Sie alles tun, was Ihnen hilft, bei Kräften zu bleiben. - Rhythmus und Struktur: Kinder mit Regulationsstörungen sind mit dem Finden eines eigenen Tagesrhythmus überfordert. Sie brauchen und als Wegweiser einen wiederkehrenden Ablauf, häufige Pausen (alle 1-1,5 Stunden), und Struktur. Alles, was eigentlich ein bisschen old school ist… - Fangen Sie nichts an, von dem Sie wissen, dass Sie es nicht längerfristig durchhalten können. Nächtliches Autofahren, stundenlanges Wippen auf dem Pezziball mit laufendem Fön etc. sind daher keine geeigneten Einschlafhilfen, sondern bieten nur kurzfristig Ruhe. - nur eine Baustelle zur Zeit: Überfordern sie sich und Ihr Kind nicht mit zu vielen Maßnahmen. Änderungen sind immer anstrengend, ungewohnt und irritierend, macht man zu viel auf einmal, wird oft das Gegenteil dessen erreicht, was man erzielen will. - Änderungen brauchen Zeit. Erst nach ca. 14 Tagen konsequenten Durchhaltens hat sich der Biorhythmus umgestellt, und können Lerneffekt dauerhaft greifen. Vorzeitiges Aufgeben oder inkonsequentes Vorgehen ist für ein Kind verwirrend und führt zu beiderseitigem Frust. Das war jetzt nur ein Auszug. Falls Sie sich seriös in das Thema einlesen möchten kann ich Ihnen alles von der Gruppe um Mechthild Papoušek empfehlen (keine Ratgeber, sondern Fachliteratur, aber dennoch für Laien lesbar), sowie die „Klassiker der Elternratgeber: „Was mein Schreibaby mir sagen will“ von Renate Barth, „Unser Baby schreit so viel!“ von Paula Diederichs und Vera Olbricht oder auch „Babyjahre“ vom Remo Largo (nicht nur zum Thema Schreien, sondern Entwicklung allgemein). Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall alles Gute und weiterhin viel Kraft! Ich werde meine Arbeit hier zum 01.09. leider beenden müssen. Sollten Sie noch Fragen haben, bekommen Sie jedoch weiterhin kompetente Hilfe, z.B. im Hebammenforum, beiden Kinderärtzten, Erziehungsforum oder Stillforum. Herzlichst, Ihre Meike Bentz


Julnny

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Vielen herzlichen Dank für Ihre ausführliche, einfühlsame und sehr nette Antwort. Ich weiß das sehr zu schätzen und hilft mir schonmal sehr weiter da man natürlich immer versucht mit rumschunkeln das es besser wird... Können Sie mir denn im Raum München/Garmisch-Partenkirchen jemamden empfehlen an den oder die ich mich wenden kann?! Mir ist nur wichtig das diese alleine schreien lassen Methode nicht angewendet wird! Schade das Sie hier im Forum aufhören, alles gute auch für Sie in Zukunft :-) und danke nochmals!!


IchWerdeMami2015

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In München: http://www.kbo-kinderzentrum-muenchen.de/index.php?id=74 Kinderzentrum mit Schreibabysprechstunde


Julnny

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Vielen Dank!!!!


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