Frage: Kleinkind entwickelt Zwänge

Guten Abend Frau Henkes, in letzter Zeit finde ich das Verhalten meiner Tochter zunehmend anstrengend und es kommt häufig zu Streit zwischen uns deswegen. Sie ist knapp 4 Jahre alt und wird zu Hause betreut. Sie hat einen Baby Bruder. Mir fällt auf, dass sie stark "Zwangshandlungen" entwickelt. Es fing an mit Socken ziehen. Das ist tatsächlich nach vielen Wochen weg gegangen. Aktuell gibt es folgendes: -Sie möchte ALLES machen (Lichter an/aus, Auto zu/auf schließen, Türen öffnen. Jetzt spielt sie noch, dass sie an den Türen Passwörter eingeben muss, bevor wir durch gehen können.  - sie macht xy (zb aufs Bett klettern) nur, wenn ich dabei nichts sage. Sonst führt sie die Handlung so oft aus, bis es dabei still ist. Treppen geht sie oft 2x hoch und runter, wenn dabei jmd was gesagt hat oder warum auch immer.  - beim Anziehen darf ich nur genau bei xy helfen, sonst wird die Hose zb wieder runter gezogen, damit sie sie allein hochziehen kann.  Dieses Verhalten stresst mich sehr im Alltag, ich werde genervt und mache es auch nicht immer mit bzw rede mit ihr , aber sie ist sehr willensstark und bekommt sofort einen Wutanfall, wenn es nicht nach ihrem Plan geht. Ich Frage mich, warum sie solche Zwänge entwickelt, würde es gerne verstehen und es in keinem Fall fördern. Meine Mutter denkt schon, ich sollte sie gar nichts mehr machen lassen, weil sie jetzt alles an sich reißt. Hat sie zu wenig feste Strukturen im Alltag, dass sie sich solche erschaffen muss ? Sie trödelt auch viel und hört sehr schlecht auf uns im Moment. Es ist oft nein oder sie ignoriert Aufforderungen etc. Vielen Dank schonmal und herzliche Grüße, Nancy   

von Nancy27 am 06.05.2024, 23:03



Antwort auf: Kleinkind entwickelt Zwänge

Guten Tag, ich denke nicht, dass es sich bei den Verhaltensweisen Ihrer Tochter  um Zwangshandlungen handelt. Vermutlich befindet sich Ihre Tochter noch in starker Rivalität zum Bruder und fürchtet, Ihre Aufmerksamkeit zu verlieren. Daher versucht sie, mit diesem Verhalten Ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Das ist eine typische Reaktion von Kindern auf die Entthronung durch ein Geschwister. Kinder verhalten sich unbewusst nach dem Motto, lieber negative Aufmerksamkeit zu bekommen als keine. Dieses Verhalten beruht auf unbewussten Ängsten eines Kindes und hat nichts damit zu tun, dass Eltern dem Kind tatsächlich weniger Aufmerksamkeit schenken. Vermutlich versucht Ihre Tochter mit diesem Verhalten auch, sich einen Machtposition in der Familie zu sichern. Sie bestimmt ja, wie alles abzulaufen hat und was Sie zu tun haben. Dies ist eine Rollenumkehrung, die einer Vierjährigen auf Dauer nicht gut tut. Ihre Tochter muss noch lernen, von Ihnen gesetzte Grenzen zu akzeptieren und Ihre Regeln zu beachten. Versuchen Sie, ihr dies geduldig und in Ruhe beizubringen. Es ist in Ordnung, wenn Ihre Tochter gern möglichst viel machen möchte wie Türen öffnen und Lichtschalter betätigen o.a.. Interpretieren sie das als helfen und loben Sie Ihre Tocher dafür. Sie müssen sich jedoch nicht von Ihrer Tochter bestimmen lassen und tun, was sie verlangt. Sie sollten auch unterbinden, dass Ihre Tochter dann Handlungen solange wiederholt, bis sie Ihr Verhalten angemessen findet. Für Ihre Tochter ist es wichtig, dass sie Sie in solchen Situationen als stark und souverän erlebt. Sie muss spüren, dass Sie sich nicht von ihr manipulieren lassen. Sie sollte dabei Ihre Reaktion so erleben, dass sie sicher sein kann, dass Ihre gute Beziehung erhalten bleibt. Ihre Tochter darf wütend werden, wenn sie ihren Willen nicht durchsetzen kann. Sie können sie dann sogar trösten. Sie muss noch genügend Frustrationstoleranz entwickeln, um ertragen zu lernen, dass sie in der Familie nicht die Macht hat. Diese Toleranz lernt sie nicht, wenn sie immer bestimmen darf. Ihrer Tochter alles zu verbieten, ist keine sinnvolle Unterstützung für Ihre Tochter. Es ist für ihre Entwicklung wichtig, dass sie aktiv ist und viel machen will. Sie erlebt dabei, dass sie mit ihren vier Jahren schon Handlungskompetenz hat und viel kann. Das stärkt ihr Selbstwertgefühl. Ihre Tochter muss jedoch auch erfahren, dass sie als Vierjährige in der Familie nicht die Entscheidungen treffen kann, sondern dass dafür die Eltern zuständig sind. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ingrid Henkes

von Ingrid Henkes am 07.05.2024



Antwort auf: Kleinkind entwickelt Zwänge

Vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort! :) Eine kleine Rückfrage hätte ich noch: ich lasse sie sehr viel helfen, sie kocht und putzt mit mir etc, finde also sie bekommt viel Aufmerksamkeit und Lob von uns allen für Positives. Aber sie schrieben ja, es hat nichts mit der Realität zu tun, diese Angst. Was sollte ich tun, wenn sie zb das Licht wieder aus macht , damit sie es an machen kann? Oder sie sagt ich soll Oma wieder anrufen, damit sie auflegen kann ? Ich Versuche das gerade zu unterbinden, also zu sagen : du darfst nächstes Mal gerne fragen, aber was aus oder an ist, bleibt so.  Viele Grüße, Nancy 

von Nancy27 am 07.05.2024, 22:14



Antwort auf: Kleinkind entwickelt Zwänge

Guten Tag, vielleicht können Sie Ihre Reaktion noch mehr auf die einzelne Situation richten. Es ist doch nicht schlimm, wenn Ihre Tochter den Lichtschalter einmal zuviel an und aus macht. Da handelt sie ja allein. Aber Sie müssen nicht die Oma anrufen, weil Ihre Tochter das will. Lassen Sie Ihre Tochter ruhig auflegen, wenn Sie rechtzeitig daran denken. Aber ein Extraanruf von Ihnen ist nicht nötig. Dann helfen Sie Ihrer Tochter die Frustration zu ertragen. Alles Gute Ingrid Henkes

von Ingrid Henkes am 10.05.2024